UN: Hoffen auf eine bessere Welt

UN: Hoffen auf eine bessere Welt
UN: Hoffen auf eine bessere Welt
 
Mit der Gründung der Vereinten Nationen am 26. Juni 1945 in San Francisco hat die Menschheit einen besonders wichtigen Meilenstein errichtet: Sie verbot den Krieg. Ein Traum wurde Wirklichkeit. In Artikel 2, Abs. 4 der Charta der Vereinten Nationen verpflichten sich alle Staaten völkerrechtlich verbindlich, auf die Androhung oder Anwendung der Gewalt als Mittel der Politik zu verzichten. Sie wollen damit die »kommenden Generationen vor der Geißel des Kriegs bewahren«.
 
Die Gründung der Vereinten Nationen war kein Werk von Utopisten oder Pazifisten, sondern eine durchdachte Strategie hartgesottener Realpolitiker wie des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und des britischen Premierministers Winston Churchill. Sie hatten sich dazu schon in ihrer Atlantik-Charta von 1941 verabredet. Die Gründung der Weltorganisation war auch kein Schnellschuss. Nach dem Ersten Weltkrieg schon war der Vorläufer, der Völkerbund, gegründet worden. Er schränkte das Recht auf den Krieg, jenen wichtigsten Bestandteil staatlicher Souveränität, nur ein, hob es nicht auf. Das versuchte dann erstmals der Kriegsächtungspakt, der Kellogg-Pakt, von 1928, aber nur auf freiwilliger Basis. Immerhin traten damals 15 Staaten bei. 1945 unterschrieben alle 52 Staaten. Heute gilt das Kriegsverbot für alle 185 Mitglieder der Vereinten Nationen.
 
Die Gründung der Vereinten Nationen schloss also einen langen und schwierigen Vorlauf ab. 1945 war wirklich ein Wendepunkt in der internationalen Politik. Seitdem darf Gewalt nur noch zur Verteidigung eingesetzt werden, als Mittel der Politik steht sie nur dem Sicherheitsrat zu. Der Krieg hat ausgedient. Wer ihn beginnt, wird, wie Nord-Korea 1950 und Irak 1990, von der Völkergemeinschaft mit Gewalt bestraft.
 
Der Fortschritt ist noch nicht perfekt, die Vereinten Nationen haben ihre Schönheitsfehler. Die Strafandrohung gilt nur für die kleinen Staaten, nicht für die großen. Die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und China haben im Sicherheitsrat einen Ständigen Sitz, die anderen zehn Mitglieder wechseln. Ohne die Zustimmung der Großmächte passiert nichts, und das heißt auch: Ihnen passiert nichts. Sie sind die Weltpolizisten, und sie fühlen sich so. Allerdings müssen sie sich einig sein. Während des Ost-West-Konflikts waren die Vereinten Nationen gelähmt. Er wurde denn auch in der vertrauten Manier zwischen zwei Militärallianzen ausgetragen, nicht in den Vereinten Nationen beigelegt.
 
Sie blieben allerdings nicht untätig. In den vier Jahrzehnten des Kalten Kriegs haben sie sich um die Entwicklungsländer gekümmert und um die Weltwirtschaftsordnung, auch um die Abrüstung. 1956 kam der damalige Generalsekretär Dag Hammarskjöld auf den klugen Gedanken, die Polizistenrolle der UNO durch die eines politischen Dienstleisters zu ergänzen. Seitdem hilft die UNO, den Frieden zu sichern. Sie trennt Konfliktparteien, sorgt für die Einhaltung von Waffenstillständen und fungiert seit 1990 sogar als Hilfsregierung, wenn in einem Staat alles zusammengebrochen ist. Leider ist es bisher nicht gelungen, den Vereinten Nationen, wie es 1945 eigentlich vorgesehen war, auch eigene Streitkräfte zu geben. Gerade die Großmächte, die Ständigen Sicherheitsratsmitglieder, sperren sich gegen dieses Vorhaben. Sie wollen ihre Entscheidungsfreiheit nicht einschränken lassen. Es zeigt sich so ganz deutlich, dass die Vereinten Nationen kein einheitlicher Akteur sind, sondern eine permanente Staatenkonferenz. Sie kann nur handeln, wenn es unter den 15 Sicherheitsratsmitgliedern eine Mehrheit gibt, zu der alle Inhaber eines Ständigen Sitzes gehören müssen.
 
 Das Rathaus der Welt
 
Die Generalversammlung wird gern als das parlamentarische Gegenstück zum Sicherheitsrat dargestellt. Die Analogie täuscht, denn in der Generalversammlung sind ebenfalls nur die Regierungen vertreten. Immerhin kommen hier alle Staaten zu Wort, nicht nur die großen. Die Generalversammlung hat im Lauf der Jahre viele Entschließungen verabschiedet, die für wichtige Gebiete der Weltpolitik, wie für die Abrüstung, die Entwicklungspolitik, den Welthandel und für Umweltfragen, meinungsbildend gewesen sind. Für die Formulierung und Verwirklichung der Menschenrechte sind die Vereinten Nationen seit ihrer »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948« sozusagen federführend geworden. Hauptverantwortlich dafür war die Generalversammlung. Sie ist wirklich das »Rathaus« der Welt.
 
Diese Funktion wird immer wichtiger. Während des Kalten Kriegs hat sich die Welt so verändert, dass ohne die Zustimmung der betroffenen Bürger keine erfolgreiche Politik mehr betrieben werden kann. Diese Zustimmung kann kaum verweigert werden, wenn sie von der Mehrheit der Generalversammlung eingefordert wird. Sie erzeugt und verwaltet die Legitimität der entstehenden Weltgesellschaft. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat die Bedeutung der Vereinten Nationen weiter zugenommen. Für die Regulierung weltweiter Belange, die Bekämpfung des Drogenhandels und der Umweltverschmutzung, ist sie ohnehin unentbehrlich. Für die Abrüstung und die Rüstungskontrolle, vor allem für die Kontrolle der Massenvernichtungswaffen, leistet die UNO wertvolle Dienste. Ihre 18 Sonderorganisationen organisieren die globale Zusammenarbeit in fast allen Politikbereichen, von der Währungs- bis zur Gesundheitspolitik. Diese funktionale Steuerung der modernen Welt wäre ohne die Vereinten Nationen gar nicht möglich.
 
Aus dem zentralen Politikfeld des Friedens sind die Vereinten Nationen nicht mehr wegzudenken. Von 1946 bis 1996 haben sie 43 Friedenssicherungsaktionen vorgenommen, die meisten und die wichtigsten davon seit dem Ende des Kalten Kriegs. Für ihren Beitrag zur Beendigung des Ersten Golfkriegs erhielten sie den Friedensnobelpreis. Umso bedenklicher stimmt die seit der Mitte der 90er-Jahre erkennbare Tendenz der westlichen Staaten, die Friedenssicherung lieber in die eigenen Hände zu nehmen. In Bosnien-Herzegowina wurde die Friedenssicherungstruppe der Vereinten Nationen durch eine internationale Eingreiftruppe unter Führung der NATO ersetzt, die freilich aufgrund eines Mandats des Sicherheitsrats arbeitet. Wenigstens dabei sollte es bleiben. Es gibt aber auch Tendenzen, auf diese Mandatierung durch die Weltorganisation zu verzichten. Wenn sich Staatengruppen selbst zum militärischen Eingriff autorisieren, wäre der Meilenstein des Gewaltverbots, der 1945 errichtet worden ist, in Gefahr.
 
Glücklicherweise gibt es auch Gegentendenzen. Der Sicherheitsrat hat 1993 und 1994 Kriegsverbrechertribunale für die Konflikte in Jugoslawien und Ruanda eingesetzt. Er stützte sich dabei auf die gleichen Grundlagen, die 1945 zu den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg geführt hatten. Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschheit, gegen Zivilisten und Kriegsgefangene in diesen beiden Ländern wurden bestraft. Im Dezember 1996 gab die Generalversammlung den Auftrag, einen internationalen Strafgerichtshof für Kriegsverbrechen einzurichten. Sein Statut wurde am 17. Juli 1998 in Rom verabschiedet.
 
 Reform an Haupt und Gliedern
 
Nach mehr als 50 Jahren praktischer Weltpolitik müssen die Vereinten Nationen auch modernisiert und reformiert werden. Die ausufernde Bürokratie muss verschlankt, der Wildwuchs der Kompetenzen zurückgeschnitten, der Papierausstoß verkleinert werden. 1997 haben sowohl eine Arbeitsgruppe der Generalversammlung wie der UNO-Generalsekretär Kofi Annan Vorschläge für diese Reformen unterbreitet. Bei dieser »stillen Revolution« darf es aber nicht bleiben. Nicht nur die Verwaltung, auch die Organe der Vereinten Nationen müssen reformiert werden. Die neuen Großmächte der regionalisierten Welt wie Indien und Indonesien, Brasilien und Argentinien, Nigeria und Südafrika kritisieren seit langem, dass die Zusammensetzung des Sicherheitsrats die Welt von 1945, nicht die der Jahrtausendwende widerspiegelt. Die Aufnahme Deutschlands und Japans in den Sicherheitsrat würde diese Kritik noch verstärken. Der Sicherheitsrat soll nicht noch europalastiger werden, sondern in seiner Zusammensetzung die gestiegene Bedeutung der außereuropäischen Regionen ausdrücken.
 
In der Schärfe dieser Auseinandersetzung zeigt sich aber auch, welche anhaltend große Bedeutung den Vereinten Nationen zugemessen wird. Sie belegen den Platz, den später vielleicht einmal eine Weltregierung einnehmen könnte. Mitglied des Sicherheitsrats zu sein, hat dementsprechend einen hohen politischen Wert.
 
Prof. Dr. Ernst-Otto Czempiel

Universal-Lexikon. 2012.

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